Training für die Lachmuskeln: Sister Äct in Zürich
Bevor der letzte Ton verklungen war, stand das Publikum in der Maag Music Hall und feierte die Schweizerdeutsche Inszenierung von «Sister Äct» mit Standing Ovation. Eric Hättenschwiler (Übersetzung Dialoge) und Roman Riklin (Übersetzung Liedtexte) gebührt der Applaus für die Übersetzung ins Schweizerdeutsch genauso wie dem grandios aufspielenden Ensemble. Das Musical basiert auf dem gleichnamigen Film von 1992 mit Whoopi Goldberg.
Statt San Francisco ist die Stätte der Geschichte das evangelisch geprägte Zürich und spielt Ende der 1970er Jahre. Küdde Tschirky, ein berüchtigter Gangster und Inhaber des Mascotte, ein Zürcher Club, bringt einen Spitzel der Polizei um die Ecke. Dummerweise wird er dabei von seiner Geliebten Doris Karrer, alias Deloris van Cartier, beobachtet. Der Kantonspolizist Edi Bingisser, der Deloris seit der Kantonschule kennt, bringt sie bis zur Gerichtsverhandlung im katholischen Nonnenorden der barmherzigen Jungfrauen zur heiligen Mutter Maria unter. Sehr zum Missfallen der Mutter Oberin. Die sieht die heile Ordenswelt bedroht. Das unterhaltsame Katz- und Mausspiel beginnt.
Eric Hättenschwiler hat die Dialoge ins Schweizerdeutsch übersetzt. Er hat typische Gepflogenheiten der Schweiz einfliessen lassen. So ist zum Beispiel vom Happy Day (Schweizer Fernsehsendung) die Rede, als Deloris sich über Fähigkeiten des Kantonspolizisten Bingisser beschwert. Die Liedtexte wurde von Roman Riklin übersetzt. So wird aus «Ich mach sie kalt» der Song «Ich kenn di Frau» oder «Sing hinauf zum Himmel» wird zu «Sing mit eus». Die Dialoge wie auch die Liedtexte sind einerseits witzig, anderseits ernsthaft und doch erkennt man die Storyline des Originals. Die Übersetzung des Musicals ins Schweizerdeutsch ist auf ganzer Linie gelungen.
Das Bühnenbild von Simone Baumberger ist von hinten bis vorne durchdacht. Im Zentrum steht ein Kirchenschiff mit einem grossen runden Fenster. Auf den Seiten sind grosse bewegliche und um 360° Grad drehbare Bühnenteile, die immer wieder neue Szenen wie eine Bar, die Polizeistation oder das Büro der Mutter Oberin entstehen lassen. Mittig ist unterhalb des Kirchenschiffs eine ausfahrbare Plattform als weitere Option integriert, um diverse Bühnenbilder mit dem Rest zu kombinieren wie zum Beispiel der Altar der Kirche. Das Lichtdesign von Christian Joller sowie zusätzliche Projektionen im runden Kirchenfenster ergänzen das gelungene Bühnenbild perfekt. Die Kostüme von Kathrin Baumberger (Maske: Sandra Wartenberg) sind passend Ende der 1970er-Jahre angesiedelt und bilden eine bunte Abwechslung zu den zeitlosen Habits der Nonnen.
Als Deloris von Cartier fegt Fabienne Louves über die Bühne. Der Zürcher Gassen Slang und der ausgeprägte Egoismus für ihre Karriere als Sängerin, ändert sich während des Stück in eine Verbundenheit und Freundschaft mit den Nonnen. Stimmlich punktet Louves auf ganzer Linie und begeistert bei jedem einzelnen Song mit ihrer souligen Stimme. Auch das am Anfang schwierige Verhältnis zur Mutter Oberin, deren heile Ordenswelt ganz schön in Wanken gerät, weicht immer mehr einer gegenseitigen vertrauten Annäherung. Die Reise der beiden Frauen wird von Fabienne Louves genauso wunderbar gespielt wie von Sandra Studer als Mutter Oberin, die auch stimmlich mit ihrem tiefen Timbre überzeugt.
Der tollpatschige und etwas holprig agierende Kantonspolizist Edi Bingisser wird von Benjamin Fröhlich gespielt. Seine berührende Interpretation von «Genauso chönnt er si» (Tief in mir) zeigt, dass mehr in Bingisser steckt, als vermutet wird. Für zahlreiche Lacher und Zwischenapplaus sorgen die Ganoven bei dem Song «Hey, Schwöschter» (Hey, Schwester) rund um Gansterboss Küdde Tschirky. Jeremy Müller spielt Timi, den Neffen von Küdde, Fredy Kuttipurathu ist Jonny und Marc Früh mimt Pablo, mit unverwechselbarem spanischem Akzent. Eric Hättenschwiler als Küdde zeigt, dass es ihm durchaus ernst ist Deloris aus dem Weg zu räumen. Ein kurzer Moment des Zögerns, als er direkt vor ihr und den Nonnen steht, gibt Bingisser die Chance das Leben von Deloris mit einem Schuss in Küddes Arm zu retten. Hättenschwiler zeigt eine starke schauspielerische Darbietung gepaart mit einer guten stimmlichen Leistung.
Die erst 17jährige Lou Vogel begeisterte als Schwester Maria Roberta. Ihrer erste grosse Musical-Rolle meistert sie hervorragend. Stark wie sie die Entwicklung der jungen Novizin darstellt und mit ihrer glockenklaren Stimme bei «Die Welt, die ich nöd kenn» (Die Welt, die ich nie sah) punktet. Auch Melanie Kurmann zeigt als überdrehte Schwester Maria Patrick in Sachen Komik eine klasse Leistung. Präzise, wie ein Ritt auf dem Drahtseil, wirken die komödiantischen Momente bei ihr leicht und nie angestrengt. Als Pfarrer Bischoff steht kein geringer als Walter Andreas Müller auf der Bühne.
Überhaupt ist das ganze Ensemble ein Hit. Regisseur Dominik Flaschka legt viel Wert auf die Entwicklung der einzelnen Charaktere und hat die Persönlichkeiten sauber herausgearbeitet. Die Choreografie von Jonathan Huor ist abwechslungsreich, lebendig und präzise. Die 6-köpfige Band unter der Musikalischen Leitung von Hans Ueli Schlaepfer brachte die Songs schmissig zu Gehör. Sister Äct hat urkomische und auch stille berührende Momente. Ein Stück für die ganze Familie von jung bis alt.
Besuchte Vorstellung: 11. November 2022
Fotogalerie zu „Sister Äct“ in Zürich (Maag Music Hall), 2022