Atemberaubende Choreografie und gefühlvolle Story: «West Side Story» auf Tour
Two Gangs. One Love. «West Side Story» ist die moderne Version von Romeo & Julia. Bei der englischsprachigen Tour überzeugen vor allem die atemberaubend rasante Choreografie, die Musik von Leonard Bernstein und die zeitlose Geschichte. Das Zürcher Publikum im Theater 11 spendete langanhaltenden Applaus.
«West Side Story» ist nicht nur die Geschichte zweier rivalisierenden Gangs, die sich um die Vorherrschaft eines Bezirks streiten. Es geht um Freundschaft und Liebe, aber auch um Hass, Gewalt und Tod. Zwei junge Menschen, deren Herkunft, Werte und Traditionen unterschiedlicher nicht sein können, kämpfen für ihre Liebe.
Auf der einen Seite stehen die Sharks, jugendliche Einwanderer aus Puerto Rico, und auf der anderen die Jets, junge Einwanderer polnischer Herkunft, mit ihren Anführern Bernardo und Riff. Auf einer Tanzveranstaltung verliebt sich Bernardos Schwester Maria in Tony, Mitbegründer der Jets. Ein für alle Mal soll die Vorherrschaft des Bezirks geklärt werden. Riff bittet seinen besten Freund Tony, die Jets im Kampf zu unterstützen. Tony, der mit den Auseinandersetzungen nichts mehr zu tun haben möchte, sagt widerwillig zu. Fair soll der Kampf sein, ohne Waffen, doch der Zweikampf zwischen Bernardo und Riff artet aus. Riff wird von Bernardo erstochen. Im Affekt und blind vor Wut tötet Tony Bernardo. Nach dem verhängnisvollen Zusammentreffen macht sich Tony auf den Weg zu Maria. Er bittet sie Vergebung, und will sich der Polizei stellen. Gemeinsam beschliessen sie irgendwo neu anzufangen. Eine Liebe die unter keinem guten Stern steht.
Jadon Webster als Tony und Melanie Sierra als Maria agieren Rollengerecht. Webster deckt ein breites Stimmspektrum ab. Ein wunderbares Stilmittel im Gesang ist das Vibrato. Webster setzt bei seiner Intonation eine Spur zu viel davon ein. Die Zerrissenheit zwischen Liebe und Freundschaft verkörpert er authentisch. Sierra spielt Maria mit viel Gefühl, allerdings im Ansatz etwas zu kindlich. Das Feuer der lateinamerikanischen Lebensfreude geht dadurch etwas verloren. Stimmlich gefällt ihre schöne Klangfarbe.
Antony Sanchez als Bernardo und Taylor Harley als Riff zeigen eine intensive und authentische Darstellung der beiden Clan-Chefs. Ihre Authentizität und Spielfreude gefallen. Anita ist die beste Freundin von Maria und die Freundin von Bernardo. Bittere Vorwürfe stellen nach dem Tod von Bernardo die Freundschaft auf eine harte Probe. Als Anita zeigt Kyra Sorce eine starke Vorstellung. Bei dem Song "A Boy Like That" ist die Zerrissenheit förmlich zu spüren. Das insgesamt stark aufspielende Ensemble gefällt auf ganzer Linie.
Getragen wird das Musical durch die grossartige Musik von Leonard Bernstein und den starken Liedtexten von Stephen Sondheim. Bernstein spielt in seiner Komposition mit der Musik des New Yorks der 50er Jahre. Kühler, um sich greifender Jazz steht für die Auftritte der Jets, feurige temporeiche lateinamerikanische Rhythmen kündigen die Sharks an. Ruhige, lyrische klingende Melodien begleiten die Liebe von Tony und Maria. Bernstein kombinierte die unterschiedlichen Stilrichtungen mit viel Feingefühl. Die Songtexte von Stephen Sondheim zeigen wie er mit Worten spielen kann. In A Boy like that heisst es «…A boy like that who'd kill your brother, forget that boy and find another» oder im Finale «Hold my hand and we're halfway there». Das Orchester, unter der Musikalischen Leitung von Grant Sturiale, bringt dieses Gefühl aus dem Orchestergraben gut rüber.
Das Bühnenbild von Anna Louizos gleicht den typischen Häusern der New Yorker Upper East Side. Backsteinbauten, geprägt durch die gusseisernen Feuerleitern, veraltete Werbeposter und modrige Ecken. Für die Handlung des Stücks perfekt. Mehr braucht es auch nicht, um der Geschichte genügend Raum zu lassen. Die Kostüme von Alejo Vietti sind passend zu der Zeit, in der das Stück spielt. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen kommt klar zur Geltung.
Die Regie von Lonny Price zeigt eine gute Personenführung. Die eine oder andere Länge im Stück ist buchbedingt. Die atemberaubende und rasante Choreografie, im Original von Jerome Robbins, verantwortet Julio Monge. Gerade die Ensemble Tanzszenen sind aus einem Guss und perfekt aufeinander abgestimmt. Eine Augenweide.
Themen wie Fremdenhass, Jugendliche, die ihren Weg finden müssen und die erste grosse Liebe sind und bleiben aktuell. Das erklärt auch die ungebrochene Erfolgsgeschichte von «West Side Story». Weitere Stationen der Tour sind unter anderem Leipzig, Lausanne, Frankfurt, Bremen, Düsseldorf, Dublin und Paris.