«IO SENZA TE» in Thun: Kurzweilig und unterhaltsam
Nach zwei Jahren Corona-Pause feierte «IO SENZA TE» auf der Thuner Seebühne Premiere. Das Schweizer Mundart-Musical basiert auf den bekannten Liedern des Trios Peter, Sue und Marc aus den 1970er-Jahren. Die Songs komponierte Peter Reber zusammen Rolf Zuckowski, wobei Reber sich für die Melodien und Arrangements und Zuckowski sich für die Texte verantwortlich zeigte.
Wer hätte gedacht, dass Peter, Sue & Marc nach ihrem ersten Auftritt im Jahre 1968 im Theater National in Bern am Zibelemärte zu einer der erfolgreichsten Bands der Schweiz avancieren. Den grossen Durchbruch schaffte das Trio durch den vierten Platz beim Grand Prix Eurovision 1976 in Den Haag mit dem Song «Djambo Djambo». Es folgten zahlreiche Auftritte in TV-Shows, über eintausend Konzerte und mehr als eine Million verkaufte Tonträger. Im Jahr 1981 geht bei der Silvester-Sendung des Schweizer Fernsehen Teleboy die 13-jährige Karriere des Trios zu Ende. Zu den erfolgreichsten Hits gehören «Cindy», «Birds of Paradise» und nicht zuletzt «Io Senza Te».
Mit den Compilation-Musicals oder Jukebox-Musical ist es so eine Sache. Die Lieder werden nicht eigens für das Musical komponiert, sondern die Handlung wird um die Songs berühmter Bands oder Künstler herum entwickelt. Das kann gut gehen oder auch mächtig in die Hose gehen, weil die Handlung oft flach bleibt. Gelungene Musicals sind «Ich war noch niemals in New York» mit den Songs von Udo Jürgens oder «Mamma Mia» mit den Songs von ABBA. So darf auch «Io Senza Te» dem Genre zugerechnet werden.
Im Jahr 2015 und 2016 war die Inszenierung im Theater 11 in Zürich zu sehen und begeisterte damals das Schweizer Publikum. Für die Thuner Seebühne wurde das Schweizer Mundart Stück Open-Air tauglich neu inszeniert.
Nach 25 Jahren Ehe sind Lilly und Jean-Rémy auf dem besten Weg sich im Alltag zwischen ihren Träumen und der Realität zu verlieren. Jean-Rémy kann sich nicht entschliessen, seine Bahamas Bar zu verkaufen und Lilly hadert mit dem Traum vom Auswandern auf die Bahamas, so wie sie es sich bei ihrer Hochzeit versprochen hatten.
Mit ihrem Vater Paul lebt Ky auf den Bahamas. Sie hat das Inselleben leid und eröffnet ihrem Vater beim morgendlichen Fischen, dass sie bereits am Abend in dessen Heimat Schweiz abreist. Barkeeper Gio, Claudia und Dieter leben gemeinsam in einer WG. Dieter träumt vom Durchbruch im Musikgeschäft. Jean-Rémy ist ratlos, weshalb seine Frau Lilly so unglücklich ist. Gio bringt ihn auf die Idee Lilly mit ihrem Lieblingslied «Io Senza Te» zum 25. Hochzeitstag zu überraschen, allerdings stösst die Dance Version von Dieter und Gio bei ihm auf wenig Begeisterung. Eine Sängerin muss her und so postet Gio eine Ausschreibung zum Casting im Internet.
An der Feier zum 25. Hochzeitstag von Jean-Rémy und Lilly gelingt Gio, Ky und Dieter ein unerwarteter Erfolg mit dem Revival des Songs „Io Senza Te“. Jürg, ein Stammgast der Bahamas Bar, gibt sich als Dr. Rock aus und behauptet Verbindungen ins Musikbusiness zu unterhalten. Plötzlich stehen sie als Trio vor einer gemeinsamen musikalischen Zukunft. Aber wollen sie das überhaupt? Währenddessen diskutieren Lilly und Jean-Rémy weiter übers Auswandern, bis Lilly eine Entscheidung trifft. Nach einer aufregenden Zeit, kristallisiert sich für alle der richtige Weg heraus und sie erkennen wir ohne wen oder was nicht sein kann.
Domenico Blass (Buch) und Stefan Huber (Buch und Regie) haben eine berührende, kurzweilige und unterhaltsame Geschichte, gespickt mit zahlreichen witzigen Momenten, um die Songs von Peter, Sue & Marc gestrickt. Stefan Huber inszeniert das Musical mit viel Feingefühl und hebt die charakterlichen Eigenschaften der einzelnen Protagonisten deutlich hervor. Die Szenenübergänge zwischen der Schweiz und den Bahamas sind gelungen. Auch lokale Gegebenheiten von Thun wie die Hotelfachschule, das Militär und der Berner Dialekt sind wunderbar in die Erzählung integriert. Die mitreissende und energiegeladene Choreografie von Simon Eichenberger fasziniert. Stark wie er das Ensemble agieren lässt – eindrucksvoll ist vor allem die Einlage bei «Charly Chaplin».
Unterhalb der Bühne ist Kai Tietje (Musikalischer Leiter und Arrangement) mit dem Orchester der Thuner Seespiele beheimatet. Tietje und seine Musiker:innen bringen die abwechslungsreichen Songs des Trios, welche verschiedenste Elemente aus Jazz, Swing, Country bis Klassik enthalten, schwungvoll und schmissig zu Gehör. Das Tondesign von Thomas Strebel gefällt, auch wenn es hier und da nicht immer ganz ausgewogen ist.
Im Mittelpunkt steht die Bahamas-Bar, die WG von Gio, Dieter und Claudia und das Schlafzimmer von Lilly und Jean-Rémy. Das Bühnenbild von Karel Spanhak ist auf drei runde drehbaren Spielflächen verteilt. Die Verbindung schafft ein Durchgang im hinteren Teil des Bühnenbilds sowie ein ein- und ausfahrbarer Steg über dem Wasser im vorderen Teil. Die drei Spielflächen ermöglichen übergangslose Szenenwechsel. So wird die WG zeitgleich als Hotelfachschule oder Büro genutzt. Die Bahamas-Bar sowie weitere Handlungsorte, wie zum Beispiel das TV-Studio, runden das gelungene Bühnenbild ab. Das Lichtdesign von Pia Virolainen unterstreicht einzelne Szenen wirkungsvoll und setzt diese ins richtige Licht. Heike Seidler deckt mit ihren Kostümen (Maske: Olivia Sieber) ein breites Spektrum ab. Von der Alltags- und Businesskleidung bis hin zu den glamourösen Kostümen für die TV-Auftritte des Trios.
Der Abschied von den Bahamas und ihrem Vater Paul (Patrick Imhof) sowie die Ankunft in dem beschaulichen Thun ist für Ky ein kurzer Kulturschock. Anja Haeseli begeistert als Ky durch ihre natürliche Spielfreude und ihre wohlklingende Stimme. Selbst hohe Töne meistert sie mit Leichtigkeit. Gio arbeitet als Barkeeper in der Bahamas-Bar. Als Ky in der Bahamas Bar den Song «Mama Made The Music» aus der Jukebox mitsingt, verliebt er sich Hals über Kopf in sie. Andreas «Ritschi» Ritschard liefert eine überzeugende Darstellung ab und punktet mit seiner sicher geführten Stimme. Mit der nötigen Ernsthaftigkeit und trockenem Humor spielt Jörg Neubauer den Möchtegern Musikkomponisten Dieter aus Deutschland. Statt sich seinem Praktikum beim lokalen Bahnunternehmen zu widmen, beschäftigt er sich, sehr zum Missfallen seiner Mutter, fast pausenlos mit seiner Musik. Die Idee der Peter, Sue und Marc Coverband ist nicht gerade das, was sich Dieter für seine Musikkarriere erträumt und entsprechend tut er sich schwer damit.
Als Lilly und Jean-Rémy vor 25 Jahren auf den Bahamas geheiratet haben, waren beide voller Träume und wollte eines Tages auf die Insel zurückkehren. Seit einiger Zeit Leben die beiden jedoch aneinander vorbei. Romeo Meyer gibt den Jean-Rémy ausdrucksstark und lässt keinen Zweifel daran für seine grosse Liebe zu kämpfen. Durch ihr nuanciertes Schauspiel und ihre charaktervolle Stimme zeigt Sylvia Heckendorn eine eindrückliche Lilly, die ihren Mann im Moment nicht mehr versteht. Nie den Glauben an die beiden verliert Sonja, die in ihrem Liebensleben eher Pech hat. Sie ist die Trauzeugin und beste Freundin von Lilly. Mit dunkel legierter Stimmfarbe und einfühlsamer Darstellung begeistert Cécile Gschwind. Ein berührender Moment ist das Duett «Jeremy/Jean-Rémy» von Heckendorn und Gschwind.
Zusammen mit Gio und Dieter wohnt die St. Gallerin Claudia in der WG. Sie ist fest davon überzeugt, dass sie eine gute Sängerin ist und versucht am Casting vorzusingen. Claudia ist nur schwer vom Gegenteil zu überzeugen, dass sie nicht wirklich singen kann, bis zu der späteren Einlage von «A Criminal Thing». Angela Hunkeler beweist komödiantisches Talent mit dem richtigen Timing und punktet als Nervensäge auf voller Linie. Die Casting-Szene ist ein Highlight des Stückes, vor allem die unterhaltsame Art und Weise der Darbietung der Songs «Mountain Man», «Trödler & Co» und «Cindy».
Ursula und Bettina sind die Studienkolleginnen von Ky in der Hotelfachschule. Bettina (Gabriela Ryffel) ist süchtig nach ihrem Smartphone und reagiert im breiten Zürich-Deutsch auf gesagtes immer zu spät, was Ursula (Anja Quinter) mächtig nervt. Ryffel hat durch ihre komödiantische Darstellung die Lacher immer wieder auf ihrer Seite. Zu keiner Zeit wirkt es aufgesetzt oder unnatürlich. Beide bieten pure Unterhaltung und ergänzen sich in ihrer Rollenauslegung hervorragend. Jürgs, aka Dr. Rock, liebster Aufenthaltsort ist die Bahamas-Bar und das am besten immer mit einem Bier. Plötzlich sieht er die Chance dem Trio Gio, Ky und Dieter als Musik-Manager auf die Sprünge zu helfen, hat er doch bisher eher die Stühle in Konzertsälen aufgestellt. Rolf Sommer steht den beiden Damen in nichts nach.
Das erstklassig besetzte Ensemble agiert mit ausgesprochener Spielfreude. Das Publikum der Vorpremiere würdigt einen unterhaltsamen und kurzweiligen Abend mit Standing Ovation. Bei der Dance-Version von «Io Senza Te» hält es am Thuner See niemanden mehr auf den Sitzen.
Fotogalerie zu „Io Senza Te“ in Thuner (Thuner Seespiele), 2022