Berührend, atemberaubend und hinreissend – «The King and I»
Anna Leonowens ist eine in Indien geborene englischen Gouvernante, die in den frühen 1860er Jahren von König Mongkut (Rama IV) nach Siam (heutiges Thailand) eingeladen wurde, um seinen Kindern und Ehefrauen die englische Sprache beizubringen sowie sie mit britischen Gepflogenheiten vertraut zu machen. Sie ist keine Frau, die sich dem König unterordnet. Nein, Anna Leonowens ist selbstbewusst und intelligent. Sie weiss sich durchzusetzen und eröffnet dem König so auch neue Sichtweisen. Nach ihrer Rückkehr aus Siam verfasste Leonowens die Erzählungen «Die englische Gouvernante am siamesischen Hof» (1870) und «Romanze des Harems» (1873), die ihr Leben und Arbeiten am königlichen Hof schildern. Diese Erzählungen, deren historische Genauigkeit fraglich sind, bildeten für Margret Landon im Jahr 1944 die Grundlage für den biografischen Roman «Anna and the King of Siam».
Ursprünglich waren Richard Rodgers und Oscar Hammerstein von Landon’s Buch nicht begeistert, da sie keine durchgängige Handlung erkennen konnten. Erst die Verfilmung aus dem Jahr 1946 (Regisseur John Cromwell) mit Rex Harrison als König und Irene Dunne als Anna in den Hauptrollen änderte dies. Im Musical «The King and I» gibt es im Gegensatz zum Film einige Anpassungen. Die grösste Änderung ist der Tod des Königs am Ende. Während Anna und Lady Tuptim sich im Film feindselig gegenüberstehen, verbindet sie im Musical ein freundschaftliches Band und Anna unterstützt Tuptim darin, ihre Verlobten Lun Tha heimlich zu sehen. Diese Liebesgeschichte wurde zusätzlich hinzugefügt, um dadurch einen roten Faden von Anfang bis Ende im Musical einzubauen.
Die Entstehung des Musicals «The Kind and I» geht zurück in die goldene Ära des Musicaltheaters. Im Jahr 1950 begann das Duo Rodgers (Komponist) und Hammerstein (Buch, Lyrics) mit der Arbeit an «The Kind and I». Das Stück feierte am 29. März 1951 im St. James Theatre am Broadway seine Premiere. Auch nach über 70 Jahren, mit diversen Verfilmungen und Revivals, begeistert die Geschichte nachwievor und darf durchaus als zeitloser Klassiker bezeichnet werden.
Eine wichtige Sache gilt es zuerst festzuhalten – den satten und wohlklingenden Sound aus dem Orchestergraben. Für eine Tourversion ist es nicht selbstverständlich, dass grössere Orchester mitreisen. Dies ist hier anders und das Hörvergnügen ist erstklassig. Der Musikalische Leiter Malcolm Forbes-Peckhams versteht es die grossartigen Songs des Stücks wie «I Whistle a Happy Tune», «Getting to Know You» und «Shall We Dance?» gekonnt in Szene zu setzten. Zielsicher und durchdacht ist die Regie von Bartlett Sher. Die gesamte Inszenierung ist aus einem Guss und auch die Szene der Aufführung des Königs für seinen englischen Gast «The Small House of Uncle Thomas» ist keinesfalls langatmig. Christopher Gattelli hat seine Choreographie begeistert und ihm ist es gelungen diese wunderbar mit der Geschichte zu verweben.
Das Bühnenbild von Michael Yeargans ist dezent – Palast, Säulen und zarte fliessende Vorhänge zeigen durchaus einen exotischen Touch, wirken aber nie überzeichnet. Wunderbar ergänzend sind vielen Kleinigkeiten wie Möbel, Kissen und Dekorationen, die immer wieder ins Auge stechen. Catherine Zubers Kostüme sind aussergewöhnlich. Die klare Linie zwischen der westlichen Welt und dem exotisch fremdländischen Siam sind wunderbar herausgearbeitet. Passend zur damaligen Zeit sind auch Annas Kleider, die durch Unterröcke ausladend und zeitgleich elegant sind.
Ein wahrer Glücksfall ist die gesamte Darstellerriege – allen voran die beiden Hauptdarsteller. Anna Leonowens ist eine charakterstarke Frau, die gar nicht daran denkt, sich gegenüber dem König unterwürfig zu zeigen, was diesem sehr imponiert. Annalene Beechey versteht es diese Rolle exzellent darzustellen. Sie verleiht Anna die nötige Eleganz und Stärke, ohne dabei aufgesetzt zu wirken. Stimmlich bewegt sie sich auf einem ausserordentlich hohen Niveau. Jose Llana steht ihr in seiner Rolle als King of Siam in nichts nach. Der König ist ein sensibler Mann, der jede seiner Entscheidungen hinterfragt und zeitgleich doch auch Stärke ausstrahlt. Diese Zerrissenheit zeigt sich eindrücklich in dem Song «A Puzzlement». Attraktiv, kämpferisch und gutaussehend zieht er Anna in seinem Bann. Der Song «Shall We Dance», als Anna dem König Tanzunterricht gibt, ist zweifelsfrei mit einer der berührendsten Szenen im Stück.
Als Lady Thiang, erste Frau des Königs, begeistert Cezarah Bonner. Mit Anmut, Strenge und Weitsichtigkeit agiert sie im Palast und stärkt dem König den Rücken. Hierfür muss sie mit dem zwielichtigen und des Königs treu ergebenen Kralahome (Premierminister) zusammenarbeiten, der von Kok-Hwa Lee hervorragend dargestellt wird. Die Liebesgeschichte zwischen Tuptim und Lun Tha ist berührend. Dieses junge Paar wird unfreiwillig getrennt, weil König Mongkut sich Tuptim als eine weitere Konkubine auswählt. Heimlich können sie sich dank Anna sehen, bis sie von Lady Thiang erwischt werden. Paulina Yeug als Tuptin und Ethan Le Phong als Lun Tha berühren mit ihrer Darstellung.
Die Kinder und die Frauen des Königs geniessen die Schulstunden mit Anna, weil diese den Unterricht mit viel Herzenswärme gestaltet. Am Ende schafft es Anna auch das Herz des Thronfolgers Prince Chulalongkorn zu erobern. Aaron Teoh punktet mit seiner Darstellung als junger Prinz. Zuckersüss sind auch die Kinder des Königs und Annas Sohn Louis, welche abwechselnd von unterschiedlichen Kindern verkörpert werden.
Das Musical «The King and I» bietet einiges – Liebe, Drama, Herzschmerz, Freude, Leid und eine authentische Geschichte mit wundervollen Melodien. Eine durchweg herausragende Leistung des gesamten Ensembles wurde vom Publikum mit langanhaltendem Applaus gewürdigt. Die englischsprachige Tour ist noch bis 1. Dezember 2019 im Theater 11 in Zürich zu sehen.