Lady Bess – Europäische Erstaufführung mit starker Besetzung
Kurz nach den weitgehenden Aufhebungen der Corona Massnahmen in der Schweiz feierte das Musical «Lady Bess» am 19. Februar 2022 seine europäische Erstaufführung in einer Neufassung. Im Jahr 2014 wurde das Stück im Imperial Theater in Tokio, Japan, uraufgeführt.
Im Mittelpunkt stehen die Kindheit und Jugend der zukünftigen Königin von England, Elizabeth «Bess» Tudor, die sich gegen die Intrigen ihrer Halbschwester Mary Tudor wehren muss. Mary wird von ihrem Vater Henry VIII verleumdet, nachdem er sich von seiner ersten Frau Katharina von Aragón, Marys Mutter, scheiden lässt. Nach der Hinrichtung von Elizabeth Mutter Anne Boleyn durch Henry VIII wird «Bess» als Bastard denunziert. Beide Schwestern ereilt ein ähnliches Schicksal. Während «Bess» versucht sich mit ihrer Halbschwester gut zu stellen, ist Mary voller Hass, da sie Elizabeth für ihr Schicksal verantwortlich macht.
Nach dem Tod von Henry VIII ist Mary Königin von England. Als Mary I regiert sie das Land mit eiserner Hand. Getrieben von ihrem fanatischen katholischen Glauben verfolgt sie die protestantische Bevölkerung als Ketzer und Ungläubige. Mit der Heirat des katholischen Kronprinzen Philipp von Spanien heizt sie die Stimmung weiter gegen sich auf. Mit allen Mitteln versucht sie ihre kleine Halbschwester los zu werden. Zuerst verbreitet sie das Gerücht, dass Henry VIII nicht der Vater von «Bess» ist, anschliessend lässt Mary Elizabeth verhaften und beschuldigt sie den protestantischen Rebellen um Thomas Wyatt anzugehören. Mitten in den Unruhen lernt «Bess» den jungen Künstler und Musiker Robin Blake kennen.
Im Tower von London gefangen versucht sich Elizabeth gegen die Anschuldigungen von Mary zu verteidigen. Erst durch das Eingreifen von Prinz Philipp wird Mary milder gestimmt und setzt «Bess» auf dem Land unter Hausarrest. Stephen Gardiner, Lordkanzler und Erzbischof, und der Botschafter von Spanien, Simon Renard, versuchen weiterhin «Bess» durch ihre Intrigen los zu werden. Mit der Hilfe von Robin & Prinz Philipp kann sie dem hinterhältigen Komplott entgehen. Mary geht es gesundheitlich immer schlechter und sie sucht die Aussprache mit ihrer kleinen Halbschwester. Mit der Nachricht vom Tod Marys, wird Elizabeth in der Westminster Abbey zur Königin von England gekrönt.
Die Premiere vom «Lady Bess» findet im Provisorium Um!bau statt, da das Theater zurzeit einer Totalsanierung unterzogen wird. Ohne die üblichen Möglichkeiten eines grossen Theaterhauses, sticht das schlichte vielseitig eingesetzte Bühnenbild aus Mauern, Torbögen und Türmen von Christoper Barreca ins Auge. Eine mittige ein- und ausfahrbare Plattform unterstützt die benötigte Wandelbarkeit für viele Szenen, ob im Palast, im Wald, im Tower of London oder als Westminster Abbey. Die Videoeinspielungen von Austin Switser runden das Bühnenbild zusammen mit den feinen, ausgewogenen und dennoch ausdruckstarken Lichtstimmungen von Michael Grundner ab. Die detailliert aufwändigen gestalteten Renaissance-Kostüme sind ein echter Hingucker. Auffällig sind jene Kostüme von Mary Tudor und ihres Hofstaats. Wie aus dem Geschichtsbuch gleichen die Kostüme jenen aus der geschichtlichen Aufzeichnung. Während die Kleidung um die Gefolgschaft von Lady «Bess» farbenfroh ist, sind jene von Marys Hofstaat in violetten und dunklen Farben mit goldenen Verzierungen gehalten. Falk Bauer (Kostüm) und sein Team haben ganze Arbeit geleistet.
Die Geschichte von «Lady Bess» baut auf drei starken Frauencharakteren auf. Neben den beiden Hauptfiguren Mary und Elizabeth «Bess» Tudor, nimmt der Geist von Anne Boleyn einen wichtigen Part in der Geschichte ein. Mit der Integration der Figur ist Michael Kunze (Buch) ein kluger Schachzug gelungen. Die Mutter von «Bess» gibt die Mahnerin, die Trösterin, die Unterstützerin und begleitet ihre Tochter in ihrem jungen Leben. Dem anfänglichen Hass auf ihre Mutter, der angeblichen Ehebrecherin, weicht am Ende eine warme Mutter-Tochter Beziehung. Gil Mehmert (Inszenierung) legt in seiner Arbeit ein klares Augenmerk auf die drei starken Frauen, ohne die anderen Charaktere der Geschichte an der kurzen Leine zu halten. Es ergibt sich ein wunderbares Zusammenspiel aller beteiligter Figuren. Die wandelbare Choreografie von Jonathan Huor trägt dazu bei, dass das Zusammenspiel an Intensität gewinnt ohne von der Handlung der Geschichte zu stark abzulenken.
Getragen wird das Stück von den modernen Pop-/Rock-Kompositionen von Sylvester Levay, die eine Symbiose mit den Liedtexten von Michael Kunze bilden. Hinzukommen die Musikelemente des spanischen Flamencos bei den Szenen für Philipp von Spanien oder die rockigeren Klänge, wenn Gardiner und Renard ihre Intrigen spinnen. Bietet die Musik auch keinen bleibenden Ohrwurm, so lassen die Duette von Mutter/Tochter «Du bist nicht allein» oder «Mit Feuer und Schwert» von Gardiner und Renard aufhorchen. Die Gemeinsamkeit von Buch, Musik und Liedtexten sind ein wichtiger Erfolgsfaktor der Kunze/Levay Musicals. Routiniert dirigiert der Musikalische Leiter Koen Schoots das St. Galler Sinfonieorchester, welches mit Keyboards, Gitarre, E-Bass und Drums erweitert wurde, durch die Partitur.
Dem Theater St. Gallen gelingt es eine herausragende Cast auf die Bühne zu stellen, die vor Spielfreude nur so sprüht. Von Anfang an ist die Energie in Richtung Publikum zu spüren. Die drei Leading Ladies Katia Bischoff (Lady Bess), Wietske van Tongeren (Mary Tudor) und Katja Berg (Anne Boleyns Geist) zeigen eine Glanzleistung. Mit ihrem klaren Sopran gefällt Bischoff als junge, anfangs naive Lady Bess, für die es nicht einfach ist ihren Weg zu gehen. Van Tongeren gibt mit eindringlicher Stimme eine zuerst eiserne und konservative Mary Tudor, die später in der Erkenntnis ihres nahenden Todes ihrer kleinen Schwester verzeiht. Mit ihren kurzen Auftritten als Anne Boleyns Geist hinterlässt Berg einen bleibenden Eindruck und untermalt die intensiven Kurzauftritte mal mit weicher und mal mit eindringlicher Stimme.
Kerstin Ibald gibt Elizabeths mütterliche Gouvernante und Ratgeberin Katherine «Kat» Ashley, die nicht von der Seite ihres Schützlings weicht und sie mit allen Kräften unterstützt. Neben «Kat» unterrichtet «Bess» auch der Gelehrte Roger Ascham, gespielt von Tom Zahner, der teilweise auch als Erzähler durchs Stück führt. Bei einem Unfall mit der Kutsche im Wald lernt Elizabeth den jungen Künstler und Musiker Robin Blake, gespielt von Anton Zetterholm, kennen. Er wird zum Unterstützer, Berater und Liebhaber von Elizabeth. Alle drei überzeugen mit ihren wohlklingenden Stimmen und einer einfühlsamen Darstellung.
Die katholische Kirche war im Mittelalter ein wichtiger Machtapparat und zog in den Königshäusern von Europa die Strippen. Bischöfe und Kardinäle waren oft in wichtigen politischen Ämtern vertreten. So auch im englischen Königshaus. Stephen Gardiner, Lordkanzler und Erzbischof in Personalunion, spinnt eine Intrige nach der Anderen gegen Elizabeth. Jogi Kaiser lässt mit seiner Darstellung keine Zweifel, dass Gardiner nur ein Ziel hat, Elizabeth, in der er eine Gefahr sieht, aus dem Weg zu räumen. Unterstützt wird der Lordkanzler in seinen Vorhaben vom spanischen Botschafter Simon Renard, klasse von Gerd Archilles dargestellt. Beide bilden schauspielerisch und stimmlich ein heimtückisches Duo Infernale.
Die Krönung von «Bess» in der Westminster Abbey zur Königin Elizabeth I von England bildet den Abschluss einer gesamt glänzend aufspielenden Cast. Wie sehr Publikum, Cast, Musiker und Team das Theaterspiel vor vollem Haus vermisst haben, lässt die langanhaltende Standing Ovation nur vermuten.
Ein kurzer geschichtlicher Hintergrund zu Elizabeth I: Elizabeth wurde im Januar 1559 mit 25 Jahren Königin von Irland und England. Nach ihrer Krönung unterstellte sie die Kirche von England wieder der Krone und drängte den von ihrer Schwester Mary eingeführten Katholizismus zurück. Im gleichen Jahr beendete sie den Krieg gegen Frankreich. Während ihrer Regentschaft erhielt die Anglikanische Kirche von England ihre Ausprägung. Es kam zum Konflikt mit der schottischen Königin Maria Stuart. Elizabeth lies Maria Stuart im Jahr 1587 nach langem Zögern hinrichten. Unter Elizabeth entstanden zahlreiche künstlerische Werke u.a. von William Shakespeare und England stieg zur Seemacht auf. Bis an ihr Lebensende im Jahr 1603 war Elizabeth Königin von England. Ihre Regierungszeit ist als Elisabethanisches Zeitalter bekannt. Elizabeth I geht auch als «Virgin Queen» in die Geschichte ein, da sie zeitlebens nie geheiratet hat. Sie war das letzte Mitglied der Tudor Dynastie auf dem englischen Thron.