
Glitzer, Glamour, Tragik und Show: «Priscilla – Königin der Wüste»
Als der australische Low-Budget Film im Jahr 1994 in die Kinos kam, landete die Geschichte um die zwei Drag Queens Anthony «Tick» Belrose und Adam Whiteley sowie der Transsexuellen Bernadette einen Überraschungserfolg mit Kultstatus. Im Jahr 2006 feierte die Musical Adaption im Lyric Theatre in Sydney Premiere und war unter anderem in New York und London zu sehen. Am 23. Februar 2019 feiert das Stück in deutscher Sprache (Übersetzung: Michael Alexander Rinz) mit englischen Songs am Theater St. Gallen seine Schweizer Erstaufführung.

Auf den ersten Blick fehlt der Geschichte (Buch: Stephan Elliott und Allan Scott) um zwei Drag Queens und einer Transsexuellen auf der Reise quer durch das australische Outback an Tiefgang. Doch wenn man sich von dem Hitspektakel nicht blenden lässt, verbirgt sich dahinter durchaus genau die Thematik, mit welcher homosexuelle und transsexuelle Menschen auch im 21. Jahrhundert noch immer zu kämpfen haben. Trotz der Ehe für alle in einigen europäischen Ländern und weltweiten Pride Festivals kämpfen die Menschen immer noch um Anerkennung, Respekt und einfach darum, so sein zu dürfen wie sie sind.
Tick tritt als Drag Queen Doris Gay in einem Nachtklub in Sydney auf, als er einen Anruf seiner Ehefrau Marion erhält, die ihn bittet für ein paar Auftritte nach Alice Springs zukommen. Zuerst lehnt Tick das Angebot ab, als er aber erfährt, dass sein 8-Jähriger Sohn Benji ihn kennenlernen will, sagt er zu. Bernadette, die gerade ihren jungen Liebhaber verloren hat, sowie Adam alias Felicia Jollygoodfellow begleiten ihn auf der Reise quer durchs australische Outback. «Priscilla» heisst nicht etwas eine weitere Protagonistin im Stück, sondern der alte Bus, den die drei für ihre Reise von schwedischen Studenten abkaufen. Tick verschweigt seinen beiden Freunden den wahren Grund der Reise, die gespickt ist mit amüsanten und schönen Momenten aber auch mit tragischen Erlebnissen.

Sie erleben Anfeindungen in einem kleinen Bergarbeiter Dorf Broken Hill, lernen im weiteren Reiseverlauf mit Bob einen hilfsbereiten Mechaniker kennen, der den gestrandeten Bus «Priscilla» wieder flott macht und der sie den Rest der Reise begleitet. In Coober Pedy gerät der partywütige Adam als Felicia in eine gefährliche Situation. Es kommt zur Jagd auf Felicia, die nur Dank Bernadettes beherztem Eingreifens, knapp einer Vergewaltigung entgeht. Endlich in Alice Springs angekommen erfährt Tick, dass sein Sohn über ihn Bescheid weiss und ihn so akzeptiert wie er ist. Bernadette findet in Bob eine neue Liebe und Adam erfüllt sich den Traum im Fummel auf dem Ayers Rock zu stehen. Die drei beschliessen in Alice Springs zu bleiben und weiterhin gemeinsam aufzutreten.

Bei der Koproduktion mit dem Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz führt Gil Mehmert Regie und die Choreografie stammt von Melissa King. Mit dem Hit «It’s Raining Man» startet das Musical wortwörtlich im Bezug auf Tempo gleich zu Beginn voll durch. So temporeich wie die erste Szene schreitet das ganze Stück voran und es reiht sich Hit an Hit aus den 70er bis 90er Jahren. Mehmert liefert eine feinfühlige und temporeiche Inszenierung ab, bei der allerdings die einfühlsamen Geschichten der drei Hauptcharaktere, aufgrund des Tempos, zeitweise etwas zu kurz kommen. Passend zu den Hits von Kylie Minogue, Tina Turner oder auch den Pet Shop Boys hat Melissa King eine temporeiche Choreografie geschaffen. Die Priscilla Band lässt, unter der musikalischen Leitung von Jeff Frohner, Hits wie «I Will Survive», «Go West» oder auch «Girls Just Wanna Have Fun» bis hin zu «Follie! Delirio vano è questo! Sempre libera» aus der Oper La Traviata klangschön und mit Verve aus dem Orchestergraben erklingen.

Das Bühnenbild von Jens Kilian trägt der rasch wechselnden Bühnenumgebung Rechnung. Der Bus «Priscilla» ist Bühnentechnisch, mit einem übergrossem pinken Glitter High Heel auf dem Dach, der Star des Abends. Passend im Gesamtbild integriert und ohne grossen Umbauaufwand sind die Garderobe im Nachtklub, die Cockatoo Bar, der Saloon im Kaff Broken Hill sowie der Ayers Rock szenisch passend integriert. Das Bühnenbild wird durch die Videoprojektionen von Raphael Kurig und Meike Ebert passend ergänzt. Etwas fehl am Platz sind die Videosequenzen aus dem Bus. Diese lenken eher von den Geschehnissen und Dialogen ab, als dass sie nützlich sind. Michael Heidinger rückt die einzelnen Szenen ins passende Licht und sorgt bei den temporeichen Songs für Discostimmung. Gut abgestimmt präsentiert sich der Ton von Stephan Linde und Marko Siegmeier. Um die Protagonisten passend zu ihrer Berufung in Szene setzen zu können, Bergarbeiter in ihrer Arbeiterkluft oder australische Cowboys in Jeans mit Cowboyhut sowie die drei Diven wie Charlys Engel aussehen zu lassen, erschuf Alfred Mayerhofer bunte, schrille und aufwendige Kostüme und Perücken. Ein Kompliment geht auch an die MitarbeiterInnen der Maske des Theater St. Gallen für ein abwechslungsreiches und gelungenes Maskenbild.

Als der 8-jährige Sohn Benji (Toll: Jakob Thielemann) seinen Vater Tick kennenlernen will, begibt dieser sich nicht nur auf die Reise nach Alice Springs, sondern auch auf eine Reise zu sich selbst. Diese innere Unsicherheit wird von Armin Karl gefühlvoll interpretiert. Gerade ihren jungen Liebhaber zu Grabe getragen, hat das ehemalige Mitglied der Travestiegruppe „Les Girls“, die transsexuelle Bernadette, zufällig Zeit, um Tick auf dem Roadtrip nach Alice Springs zu begleiten. Obwohl sie Adam nicht leiden kann, nimmt sie sich dem jungen Mann beschützend an und lernt mit Bob (Überzeugend: Frank Berg) eine neue Liebe kennen. Erwin Windegger zeigt eine gefühlvolle Darstellung und seine «Les Girls» Lippensynchronisation ist sensationell. Als jüngster Protagonist unter dem Trio bewegt sich Adam als Felicia Jollygoodfellow zwischen Naivität, Tuntigkeit, losem Mundwerk und verletzlicher Kindlichkeit. Michael Heller gelingt dieser Balanceakt mit Bravour. Stimmlich ausdrucksstark gelingt es allen drei mit ihren unterschiedlichen Stimmfarben zu punkten.

Die fiktiven weiblichen Alter Egos der Hauptprotagonisten «Die Diven» werden von Inga Krischke, Martina Lechner und Stefanie Köhn dargestellt und begleiten die Story mit ihren anmutigen und stimmgewaltigen Auftritten. Als Ehefrau eines schwulen Mannes und Mutter kann Esther Mink als Marion buchbedingt wenige aber gefühlvolle Akzente setzen. Das gesamte Ensemble bringt Spielfreude auf die Bühne und hat sichtlich Spass an dem Hitfeuerwerk des Musicals. Mit Blick in den Zuschauerraum sah man ein bunt gemischtes Publikum – Theatergänger, Musicalbegeisterte, Stars, Drag Queens und Travestiekünstler – welches bereits bei «It’s Raining Man» begeistert jubelte, als es im wahrsten Sinn des Songtitels Männer vom Theaterhimmel in St. Gallen regnete. Am Ende wurde das Ensemble mit langanhaltendem Applaus gefeiert.