«Les Misérables» Tour in Zürich – ein Ritt durch die Gefühlswelt
Liebe, Hass, Rache, Vergebung, Hoffnung, Verlust und Trauer – all diese Gefühle vereint das Musical «Les Misérables. Am Ende sitzt man im Theater und hört die letzten Takte dieser wunderbaren Partitur mit grossartigen Stücken wie «I Dreamed a Dream», «Stars», «Bring Him Home», «Do You Hear the People Sing?» und «One Day More» von Claude-Michel Schönberg (Musik) und Alain Boublil (Buch). Die Gefühle fahren in den knapp zweieinhalb Stunden Achterbahn und man muss zuerst seine Gefühle sortieren, bevor man das Theater verlässt. Die kraftvolle und berührende Geschichte basiert auf den gleichnamigen Erfolgsroman von Victor Hugo.
«Les Misérables» feierte am 17. September 1980 im Palais des Sports in Paris seine Uraufführung, die zuerst nur auf das französischsprachige Publikum zugeschnitten war. Am 8. Oktober 1985 wurde das Stück zum ersten Mal am im Londoner West End gezeigt (in Englische von Trevor Nunn und John Caird) und ist vor «Phantom der Oper» das am längsten laufenden Musical am West End. Mittlerweile haben das Stück über 70 Millionen Menschen in verschiedenen Sprachen rund um den Globus gesehen. Seit dem 18. Dezember 2019 spielt im neu eröffneten Sondheim Theater in London eine überarbeitete Version von «Les Misérables». Die gleiche Version befindet sich zurzeit auch auf Tour durch UK sowie Irland und macht bis 23. Februar 2020 halt in Zürcher Theater 11.
Nach 19 Jahren wird Jean Valjean aus der Haft entlassen, die er für den Diebstahl eines Stücks Brot sowie aufgrund seiner Fluchtversuche erhalten hat. Nach der schicksalhaften Begegnung mit dem Bischof von Digne M. Myriel, schafft er es unter falschen Namen eine neue Existenz als Fabrikbesitzer und Bürgermeister aufzubauen. Fantine, eine verarmte junge Frau, die im katholischen Frankreich aufgrund ihrer unehelichen Tochter geächtet ist, wird aus Valjeans Fabrik geworfen und landet in der Gosse. Bevor sie wegen einer Lungenentzündung stirbt, verspricht ihr Valjean sich um ihre Tochter Cosette zu kümmern, die bei dem habgierigen Gastwirt Ehepaar Thénardier kein schönes Leben hat.
Als ein unschuldiger Sträfling als gesuchter Valjean verurteilt werden soll, gibt dieser sich vor Javert, der von der Jagd auf Häftling 24601 besessen ist, zu erkennen und flieht erneut. Cosette und Valjean haben sich in Paris ein ruhiges Leben aufgebaut, bis der junge Student Marius sich in Cosette verliebt. Eponine, Tochter der Thenardiers, ist heimlich in Marius verliebt und erzählt ihm, dass Cosette im Haus Rue Plumet wohnt. Marius schreibt Cosette einen Liebesbrief und die beiden treffen sich zunächst heimlich im Garten. Als Valjean von dieser Verbindung erfährt, will er mit Cosette Paris verlassen. Marius, der nun in seinem Leben keinen Sinn mehr sieht, schliesst sich den jungen Revolutionären um Enjolras an. Während der Barrikaden des Pariser Juniaufstands von 1832 kommt es zu der letzten schicksalhaften Begegnung zwischen Valjean und Javert.
Während die Geschichte die gleiche geblieben ist, wurde die Inszenierung überarbeitet. Die überarbeitet Version enthält noch viel von den ursprünglichen Szenen wie zum Beispiel den toten Enjolras auf der Rückseite eines Handkarrens. Die neue Version von Laurence Connor und James Powell kommt leichter daher und ist nicht ganz so drückend wie das Original.
Das Bühnenbild von John Napier ist für eine Tourproduktion gewaltig. Seitlich flankieren zwei Hausreihen die Bühne, welche, wenn sie zusammengeschoben werden, eine eindrückliche Kulisse bilden und die Strassenzüge von Paris nachbilden. Eingeschobene Kulissenteile präsentieren sich als äusserst Wandlungsfähig und dienen mal als Schiffsbug, mal als Abgang zum Café der Revolutionäre oder als Barrikaden von Paris. Passend ins Bühnenbild fügen sie die gemäldeartigen Projektionen von Fifty-Nine Productions ein. Das perfekt abgestimmte und aufwendige Lichtdesign von Paule Constable ergänzt die Szenen mal mit der nötigen Wärme oder bildet imaginäre Mauern, die nicht durchdrungen werden können. Die Kostüme von Andreane Neofitou und Christine Rowland lehnen sich stark an dem Original Kostümbild an, auch wenn es einige Änderungen gibt. So ist zum Beispiel ein Kostüm von Madam Thénardier viel bunter und schriller.
Als ewig gejagter Ex-Sträfling 24601 zeigt Dean Chisnall als Jean Valjean eine herausragende Leistung. Er spielt seine Figur liebvoll und setzt seine Stimme im Gesang richtig dosiert, mal zärtlich mal kraftvoll, ein. «Bring Him Home» ist wohl das berührendste Lied im Stück und wird von Chisnall wunderbar intoniert. Katie Hall gibt eine starke und zugleich zerbrechliche Fantine, die auf berührende Weise alles für ihre Tochter Cosette opfert. Ihr «I Dreamed a Dream» singt sie sehr gefühlvoll. In seiner Besessenheit für Recht und Ordnung gefangen, klammert sich Javert an die Vorstellung immer richtig zu handeln. Nic Greenshields gibt einen am Ende zerbrochen und innerlich zutiefst zerrissenen Javert. Sein berührendes und zugleich stark gesungenes «Stars» ist eines der Highlights im Stück.
Cosette, Eponine, Marius und Enjolras sind hoffnungsvolle junge Menschen. Jeder von ihnen hat Träume und versucht diese auf die jeweils eigene Art zu verwirklichen. Charlie Burn als Cosette, Frances Mayli Mccann als Eponine, Felix Mosse als Marius und Barnaby Huges als Enjolras zeigen stimmlich wie schauspielerisch eine ausserordentliche Leistung.
Als raffgieriges und listiges Ehepaar Thénardier agieren Helen Walsh und Cameron Blakely. Das Timing ihrer Komik ist perfekt. Mit «The Bargain / The Thénardier Waltz of Treachery» sowie «Dog Eats Dog (The Sewers)” haben sie die unterhaltsamsten Songs im Stück. Einen Extra-Applaus verdienen sich Amelie Walsh als junge Cosette, Noah Walton als Gavroche und Sophia Revie als junge Eponine.
Ein weiterer Pluspunkt an den Produktionen ist das stark besetzte Orchester. Unter der Musikalischen Leitung von Ben Atkinson agiert dieses spielfreudig und bringt Schönbergs Melodien mit Schwung zu Gehör.
Die komplette Cast der diesjährigen Tourproduktion von «Les Misérables» ist ein echter Gewinn und kann auf ganzer Linie überzeugen. Kurz nach den letzten Takten der Reprise von «Do You Hear The People Sing?» spendete das Publikum im Züricher Theater 11 Standing Ovation.