Einfühlsame Inszenierung mit starken musikalischen Klängen: «Heidi» in Walenstadt
"Heidi – Das neue Musical" begeistert mit einer einfühlsamen Inszenierung, welche die zeitlosen Geschichten von Johanna Spyri lebendig werden lässt. Das durchdachte Bühnenbild, das stimmungsvolle Lichtdesign und authentische Kostüme entführen das Publikum in die Welt der kleinen Heidi. Die herausragenden schauspielerischen Leistungen und die vielseitige Musik machen das Stück zu einem emotionalen und mitreissenden Erlebnis.
Noch heute leuchten Kinderaugen, wenn die Geschichten von Heidi erzählt werden. Mit den Kinderbüchern «Heidis Lehr- und Wanderjahre» sowie «Heidi kann brauchen, was es gelernt hat» schuf Johanna Spyri (1827-1901) ein romantisches und idealtypisches Sinnbild der Schweiz. Nach den Erfolgen der «Heidi» Musicals von 2005-2008 feierte «Heidi – Das neue Musical» am 12. Juni 2024 Premiere in Walenstadt. Der Ort des Musicals kann passender nicht sein, denn nur wenige Kilometer entfernt befindet sich mit Maienfeld der Ort, an dem sich Heidis Geschichte unter anderem abspielte.
Das Bühnenbild von Christoph Weyers besteht aus Maienfeld, auf der linken Seite und der Alphütte des Grossvaters mittig im Bühnenbild. Das Orchester findet seinen Platz auf der rechten Seite. Durch den Aufbau mit Holz wirkt das Bühnenbild schlicht und schnörkellos. Die Höhe der Alp ist als ansteigende Schräge dargestellt. Bei der Verlagerung der Geschichte nach Frankfurt verwandelt sich Maienfeld durch ein Drehelement rückseitig in drei Räume im Haus der Sesemanns. Hier arbeitet Weyers mit mehr Details, um die herrschaftlichen Wohnräume darzustellen. Das Schlafgemach von Heidi wirkt neben den beiden den Wohnräumen schlicht. Insgesamt fügt sich das Bühnenbild wunderbar in die Kulisse der Churfirsten und des Walensees ein und kommt besonders zur Geltung, wenn die Geschichte in der Schweiz spielt. Das Lichtdesign von David Kachlíř konzentriert sich auf die jeweiligen Schauplätze. Kachlíř untermalt auch einzelne Charaktere entsprechend. So wirkt das Licht bei Heidi und Alpöhi eher gediegen und farblich ruhig, während Frl. Rottenmeier mit Blau- und Rottönen, teils Discoartig, agiert. Bühnenbild und Lichtdesign ergänzen sich zu einer einheitlichen Symbiose.
Das Musical orientiert sich wie an einem roten Faden an den beiden Heidi-Büchern von Spyri. Regisseur Stanislav Moša legt viel Wert auf die Ausarbeitung der Charaktere, was ihm hervorragend gelingt. Er gibt Heidi, Alpöhi, Klara, Frl. Rottenmeier, der Grossmutter etc. die richtige Tiefe. Moša nutzt die gesamte Spielfläche der Bühne und verschiebt so immer die Erzählung der Geschichte gekonnt. Die Handlungsübergänge zwischen der Schweiz und Frankfurt sind klar und ohne Länge. Die Choreografie von Tihana Strmečki ist in Teilen schlicht und einfach, allerdings gerade aus dem Grund unglaublich stark. So darf man die Ensemble-Choreografie der Diener im Hause Sesemann als besonders gelungen hervorheben.
Die Kostüme von Andrea Kučerová (Maske: Sandra Wartenberg) orientieren sich stark an die zeitliche Erzählung und sind dem kulturellen Unterschied entsprechend gestaltet und authentisch. Die Bevölkerung in der Schweiz ist klar ländlich mit einfachen Hemden und Hosen sowie Kleidern, gekleidet. Bei den Herrschaften in Frankfurt tragen die Herren Frack und Zylinder und die Damen die damals verbreitete Tournüre, mit verzierten Krägen und kleinen Hüten. Die Dienerschaft trägt die damals klassische Uniform, bestehend aus gesteiften Blusen, gesteiften Hemden, schwarzem Stoff und Dienstschürze.
Patric Scott ist nicht nur Darsteller in diesem Jahr, sondern zeichnet sich auch für die Musik, Liedtexte und Schweizer Dialoge verantwortlich. Die Umsetzung ist ihm hervorragend gelungen. Der bunte Mix und auch die Individualität seiner Musik und der Liedtexte, die auch auf die Charaktere zugeschnitten sind, haben fröhliche und lebensbejahende, als auch düstere und drückende Elemente. Neben den klassischen Musical-Melodien enthält zum Beispiel die Musik für Frl. Rottenmeier Elemente von Neoswing, während die Dienerschaft bei Marschmusik mit Popelementen durchs Haus fegt. Auch volkstümliche Klänge wie das Alphorn haben ihren Platz. Das bringt eine wunderbare Abwechslung ins Stück. Insgesamt macht es wahnsinnig viel Spass der Musik des Stücks zu lauschen. Die Schweizer Dialoge sind mindestens so abwechslungsreich und enthalten auch lustige Momente, bei denen im Publikum herzhaft gelacht wird. Das Orchester unter der hervorragenden Leitung von Gaudens Bieri bringt die Musik leicht und mitreissend zu Gehör.
Wenn man tiefer in die Geschichte von Heidi eintaucht, wurde das Mädchen immer wieder aus seiner vertrauten Umgebung gerissen. Selbst wenn Tante Dete es gut meint, darf man es sich nicht ausmalen, was das mit Heidi macht. Die seelische Belastung und das Heimweh spiegelt sich letzlich auch in den Albträumen und im Schlafwandeln wider. Erst als Heidi wieder bei ihrem Grossvater auf der Alp ist, scheint alles gut zu werden. Mit Kim Fölmli wurde für Heidi die Idealbesetzung gefunden. Nicht nur ihre klare wohlklingende Stimme begeistert, sondern auch die schauspielerische Leistung mit der sie der Charakterentwicklung von Heidi leben einhaucht. Das Lied “Wo khör i denn he” interprediert sie mit so viel Gefühl, dass das Heimweh nach Hause greifbar wird. Endlich hat Heidi ein zu Hause bei dem anfänglich griesgrämigen Grossvater gefunden, als sie erneut aus der vertrauten Welt gerissen wird. Tante Dete, die nur das Beste für Heidi im Sinn hat, nimmt sie mit nach Frankfurt. Die anfängliche Abneigung des Alpöhi verwandelt sich in pure, ehrliche Sehnsucht nach seiner Enkeltochter. Christoph Wettstein zeigt eine berührende Darstellung des dickköpfigen Grossvaters, und man fühlt mit, wenn er vor Sehnsucht nach Heidi leidet. Sein klangschöner Bariton begeistert auf ganzer Linie. In Peter findet sie einen treuen Spielkameraden und Freund auf der Alp. Als Heidi aus Frankfurt zurückkehrt, reagiert er mit Eiversucht auf Klara. Stephan Luethy zeigt in der Rolle des Geisenpeter eine tolle Leistung.
Klara Sesemann schliesst Heidi sofort ins Herz. Heidis pure und ehrliche Art bring sie immer wieder zum Lachen und lässt sie das Leben im Rollstuhl für kurze Momente vergessen. Sie geniesst die Leichtigkeit, die Heidi ins Haus bringt. Als Heidi von Frankfurt abreist, kann sie es kaum erwarten ihre Freundin in der Schweiz zu besuchen. Jasmin Reif zeigt als Klara eine beachtliche Leistung. Die Momente als Klara auf der Alp mit Hilfe von Heidi, dem Grossvater und auch von Peter laufen lernt berühren. Frl. Rottenmeier verkörpert die klassische Hausdame der damaligen Zeit. Als Heidi im Haus der Sesemanns einzieht, ist es für sie ein Katastrophe. Entsprechend herablassend und kühl behandelt sie Heidi. Wie sehr das Kind unter ihrer strengen Regentschaft leidet, interessiert sie nicht. Am liebsten würde sie Adelheid, wie Heidi gebürtig heisst, wieder loswerden. Pia Lustenberger zeigt als Frl. Rottenmeier eine schauspielerisch und gesangliche herausragende Leistung. Die strenge Hausdame und ihre Abneigung gegenüber Heidi verkörpert sie in jeder Sekunde glaubhaft. Mit Doktor Classen findet Heidi einen vertrauten in Frankfurt, der ihre Not erkennt und sie zurück nach Hause in die Berge schickt, bevor es ihr vor lauter Heimweh das Herz bricht. Er ist Zuhörer und väterlicher Vertrauter in Personalunion. Die Rolle verkörpert Thomas Christ glaubhaft.
Als Herr Sesemann aus Paris nach Hause kommt, bringt er Frl. Rottemeier zur Räson und weist sie an, Heidi gut zu behandeln. Er sieht, wie gut das Mädchen aus den Schweizer Bergen seiner Tochter tut. Auch Klaras Grossmutter schliesst Heidi sofort in ihr Herz und ermutigt sie lesen zu lernen. Nathanael Schaer und Isabel Florido zeigen eine gefühlvolle Darstellung.
Tante Dete hat sich seit dem Tod der Eltern um Heidi gekümmert. Als sie eine Stellung als Dienstmädchen in gutem Hause in Frankfurt bekommt, lädt sie Heidi beim Alpöhi ab. Die Absichten von Tante Dete sind sicher gut, als sie Heidi ins Haus der Sesemanns bringt. Ronja Katzmann gefällt in der Rolle als Dete. Patric Scott verkörpert den Herr Kandidat, der Hauslehrer von Klara und Heidi ist. Er zeigt den Mädchen, dass Lesen und Bildung durchaus Spass machen. Christian Bartels verkörpert den Diener Sebastian, in dem Heidi einen weiteren Verbündeten hat. Er versucht sie vor Frl. Rottenmeier zu schützen.
Schöner kann man die Geschichte von Heidi als Musical nicht erzählen, und sind wir mal ehrlich, wer von uns kennt Heidis Geschichte nicht? Die sehenswerte und unterhaltsame Inszenierung begeistert Erwachsene wie auch Kinder. Das spielfreudige und durchweg stark agierende Ensemble erntet zurecht am Premierenabend langanhaltende Standing Ovations.