Berührend mit leichten Abstrichen: «Dällebach Kari» in Thun
Verspottet und gemieden – Wegen seiner Hasenscharte hatte der «Dällebach Kari» kein einfaches Leben. Als «Kuurlige Chutz» vom Emmental kämpft er um Anerkennung, wird aufgrund seines besonderen Humors der berühmteste Coiffeur von Bern und damit zu einer Schweizer Legende. Das Publikum ist am Abend der Vorpremiere begeistert und ergriffen zugleich.
Das Musical «Dällebach Kari» feierte am 14. Juli 2010 auf der Thuner Seebühne Weltpremiere. Danach war das Stück 2011 in Zürich und 2012 in Bern zu sehen. Zum 20jährigen Jubiläum zeigen die Thunerseespiele das Mundart-Musical «Dällebach Kari» bis zum 26. August 2023 auf der Thuner Seebühne.
Das Buch von Katja Früh beruht auf dem Leben von Karl Tellenbach, der 1877 in Walkringen (Emmental) geboren wurde. Die zusätzlichen Dialoge schrieb Wolfgang Struppeck und die Liedtexte stammen von Wolfgang Hofer. Zusätzliche Liedtexte steuerten Heiko Wohlgemuth, Kevin Schroeder und Tinu Heiniger bei. Erzählt wird eine Geschichte die Freud und Leid sehr nah vereint. Das Buch weisst ein paar Schwachstellen auf, die aus der 2010er Inszenierung beibehalten wurden. Der Konflikt zwischen Kari und seinem ehemals besten Schulfreund Fritz Aeberli gerät in der Erzählung zu kurz, während andere Szenen wie im Coiffeur-Salon oder in der Beiz «Grünegg» sich in die Länge ziehen. Der Zeitsprung von 15 Jahren ist ohne klaren Übergang und wirkt buchbedingt überhastet.
Moritz Schneider und Robin Hoffmann steuern eine abwechslungsreiche und berührende Musik bei, auch wenn ein richtiger Ohrwurm fehlt. Von Balladen über traditionelle Marschmusik, gefühlvollen Duetten bis zu starken und fetzigen Ensemblenummern sind verschiedene Musikstile vereint. Das Lied «Stärn über Bärn» am Ende berührt. Michael Reed verbindet die verschiedenen Musikstiele durch seine wunderbaren Arrangements. Der Musikalische Leiter Iwan Wassilevski dirigiert das Orchester sauber und sicher durch die Partitur. Getragen wird das Musical von der Musik, dem Leben und dem Witz des «Dällebach Kari». Die drei Komponenten verfehlen ihre Wirkung nicht.
Die Originalregie aus dem Jahr 2010 stammt von Andreas Gergen. Simon Eichenberger zeichnet sich 2023 für die Regie und Choreografie verantwortlich. Er zeichnet die Figuren klar. Die Entwicklung von Kari, vom zurückhaltenden jungen Mann zum beliebten Coiffeurmeister, mit allen Höhen und Tiefen seines Lebens, ist authentisch. Während das Stück auf Berner Mundart gesprochen wird, spricht der Alkohol Hochdeutsch. Das ist ein Kniff, mit der sich die Rolle abhebt. Die abwechslungsreiche Choreografie trägt die Handschrift von Eichenberger, welcher die Choreografie bereits 2010 verantwortete. Die Tanzszenen, gerade in den Ensemblenummern, sind bis ins kleinste Detail sauber und harmonisch auschoreografiert.
Wie integriert man die beschauliche Berner Altstadt in die Kulisse rund um Thunersee, Eiger, Mönch und Jungfrau? Eine Herausforderung die Charles Quiggin mit seinem Bühnenbild gelungen umgesetzt hat. Zentral sind dabei zwei Drehelemente die einerseits den Coiffeursalon von Kari und anderseits die Beiz «Grünegg» darstellen. Rückseitig dienen die Drehelemente als Treppen, um das mittlere Podest zu bespielen. Im Hintergrund ist die aus Holz gefertigte Silhouette der Berner Altstadt zu sehen. Ergänzt wird das Bühnenbild mit einem schmeichelnden und gut eingesetzten Lichtdesign von Michael Grundner, welches die Szenen des Musicals ins richtige Licht rückt. Am Abend der Vorpremiere ist der Ton von Thomas Strebel unsauber abgemischt. Das Orchester ist stellenweise zu laut und der Gesang wirkt verzerrt. Gesprochenen Szenen sind mitunter zu leise und dadurch sind Dialoge schwer zu verstehen.
Das Kostümbild von Aleš Valášek ist rundherum gelungen. Die pompösen Kleider der Damen, die Massanzüge der Herren und die Trachten passen zeitlich ins Geschehen. Auch die Klassenunterschiede spiegeln sich in den Kostümen wieder. Während die Kostüme der Bevölkerung hervorstechen, ist der schwarze Bestatteranzug des personifizierten Alkohols das pure Gegenstück. Hinzu kommt das passende Masken- und Perückendesign von Ronald Fahm und Olivia Sieber.
Kari Dällebach nutzt seinen Humor, um von der eigentlichen Tragik seines Lebens abzulenken. Verspottet wegen seiner Hasenscharte und des damit einhergehenden Sprachfehlers, eine Liebe, die zuerst unmöglich ist, sowie der Alkohol prägen sein Leben. Endlich glücklich mit seiner grossen Liebe Annemarie und die Alkoholsucht besiegt, schlägt das Schicksal erneut zu – die Diagnose lautet Krebs. Kari sieht keinen anderen Ausweg als sich das Leben zu nehmen. Rolf Sommer als Kari Dällebach und Iréna Flury als Annemarie Geiser überzeugen stimmlich wie schauspielerisch auf ganzer Linie. Sommer hat das Leben von Kari verinnerlicht. Seine nasale Sprechweise, sein grandioses Spiel zwischen himmelhoch jauchzend und glücklich verliebt bis zu dem Menschen, der vom Alkohol getrieben ist.
Flury verkörpert die Leichtigkeit und den Freigeist der jungen Annemarie genauso authentisch wie die unglückliche Ehefrau von Fritz. Für Annemaries Eltern ist Kari nicht standesgemäss und die Geldsorgen um die Fabrik sind grösser als das Glück der Tochter. Im Alkoholrausch verstösst Kari Annemarie. Widerwillig und aus trotz heiratet sie Fritz Aeberli. Nach dem plötzlichen Tod von Fritz finden Kari und Annemarie endlich zueinander. Doch das Glück währt nicht lange. Mit ihrer gefühlvollen klaren Stimme erzeugt Iréna Flury bei «Danke für die Zyt» einen Gänsehautmoment.
«Es isch alles vorspuret bi dir, wie uf Tramschiene». – Selbstverliebt, arrogant und mit einem klaren Plan vom Leben gibt Lukas Hobi mit ausdrucksstarker Stimme Fritz Aeberli. Zunächst ist Fritz Karis einziger Schulfreund. Als sie sich nach Jahren wiedersehen, hat Fritz alle seine Ziele erreicht und will noch das passende «Wiibervolk» heiraten. Kari ahnt nicht, dass es sich dabei um Annemarie handelt. Fritz wird zum grössten Neider von Kari, weil dieser beliebt ist und er Kari die unglückliche kinderlose Ehe mit Annemarie anlastet. Das in dem Zusammenhang gesungene Solo von Hobi «Eifach wi är sy» war energiegeladen und fantastisch interpretiert.
Als personifizierter Alkohol treibt Frank Logemann Kari immer mehr in die Abhängigkeit. Soweit, bis er Annemarie wutentbrannt im Suff aus der Beiz «Grünegg» jagt und sie daraufhin Fitz heiratet. Perfide wie der Alkohol seine Spielchen mit den Protagonisten treibt und sie gegenseitig ausspielt. Logemann verkörpert die Rolle in Perfektion.
Die Firma ist alles, was zählt. Dafür ist Wolfram Geiser auch bereit, seine Tochter unglücklich zu verheiraten. Der wohlhabende Stand muss gewahrt werden. Margrith Geiser versteht ihre Tochter und erkennt sich in ihrem Freigeist wieder. Letztlich ist sie gegenüber ihrem Ehemann machtlos. Sylvia Heckendorn und Matthias Schuppli verkörpern die Eltern von Annemarie und zeigen wunderbare Momente. Karis Trinkkumpanen Hirschi und Otti werden von Eric Hättenschwiler und Roland Herrmann verkörpert und sorgen für weitere amüsante Momente im Stück. Resolut versucht die Wirtin der «Grünegg» Frau Jenny, hervorragend gespielt von Cécile Gschwind, die beiden mitsamt Kari in den Griff zu bekommen. Anneke Brunekreeft als Prostituierte Topsy traut ihren Ohren nicht, als sich Kari im Bordell von ihr sein Lieblingslied «Wie die Blümlein» wünscht. Selten hat sie so spezielle Wünsche von Kunden.
Was bleibt von der Wiederaufnahme von «Dällebach Kari» in Thun?
Auf der einen Seite die berührende Lebensgeschichte des berühmten Berner Coiffeurs und wunderbare Melodien. Ein Gänsehautmoment als der Chor der Thunerseespiele und das Ensemble am Ende «Stärn über Bärn» singen und eine fantastisch aufspielende Cast mit einem wunderbaren Orchester.
Auf der anderen Seite ein Buch, dem eine Überarbeitung durchaus gutgetan hätte und ein Ton, dessen Abstimmung am Abend der Vorpremiere nicht überzeugen konnte.
Fotogalerie zu „Dällebach Kari“ in Thun, 2023
Besuchte Vorstellung: Vorpremiere 10. Juli 2023